Halle Lectures
Halle Lectures
Die Erforschung des 18. Jahrhunderts spielt in Halle eine heraus gehobene Rolle, an den Forschungszentren der Universität ebenso wie in den Franckeschen Stiftungen.
Betrieben wird diese Forschung in dem Bewusstsein, an den Grundlagen der modernen Gesellschaft zu arbeiten und mit der Historie immer auch ein Stück unserer Gegenwart kritisch zu befragen und damit ‚aufzuklären‘. In jüngster Zeit ist die Maßgeblichkeit der Aufklärung sowohl in wissenschaftlichen als auch in gesellschaftlichen Debatten in die Kritik geraten. Wieviel Selbstüberschätzung steckt im Anspruch der Aufklärer? Ist Aufklärung nicht — wie die christlich-pietistische Mission — trotz der von ihr beanspruchten Universalität, ein partikulares Projekt, das die Vorherrschaft Europas mehr gestärkt als in Frage gestellt hat? Wieviel taugen die kritischen Verfahren, die anthropologischen Leitbilder und die politischen Ideale des 18. Jahrhunderts noch in einer Zeit, in der sich partikulare und nationalistische Tendenzen rapide auszubreiten scheinen?
Um solchen Fragen nachzugehen, haben die in Halle ansässigen Forschungseinrichtungen, die zentral mit dem 18. Jahrhundert befasst sind, eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen. Jährlich zwei herausragende, international renommierte Wissenschaftler werden gebeten, ihre Sicht auf die Erforschung des 18. Jahrhunderts und deren Bedeutung im Kontext der aktuellen Weltlage darzulegen. Historische Fundierung und gegenwartsbezogene Problematisierung sollen dabei verbunden werden, ebenso lokale, nationale, europäische und globale Perspektivpunkte. Die Vorträge richten sich sowohl an ForscherInnen und Studierende als auch an die weitere Öffentlichkeit.
Eine Kooperation des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA), des Interdisziplinären Zentrums für Pietismusforschung (IZP), der Alexander von Humboldt-Professur für Neuzeitliche Schriftkultur und Europäischen Wissenstransfer, des Landesforschungsschwerpunkts "Aufklärung – Religion – Wissen" und der Franckeschen Stiftungen zu Halle.
Unter den Open-Lectures der Universität Halle finden Sie die Aufzeichnungen der bisherigen Halle Lectures seit 2018, mit Prof. Dr. Dipesh Chakrabarty, Prof. Dr. Rebekka Habermas, Prof. Dr. Hartmut Rosa, Prof. Dr. Bertrand Binoche, Prof. Dr. Georg W. Bertram, Prof. Dr. Jakob Vogel, Prof. Dr. Michael Bergunder, Prof. Dr. Philippe Büttgen, Prof. Dr. Corine Pelluchon und Prof. Dr. Philipp Sarasin.
Halle Lectures 2024: Wahrheit - Recht - Vielfalt
Die Halle Lectures 2024 stehen unter dem Motto: Wahrheit - Recht - Vielfalt.
12. Juni 2024, 18:00 Uhr
Prof. Dr. Dr. h.c. Heribert Prantl (München):
Die Wahrheit soll ans Licht! Welche Wahrheit? Über die Wahrheitssuche bei Theologen, Journalisten und Juristen - und über das Verhältnis von Gnade und Recht
Ort: Aula, Löwengebäude, Universitätsplatz und digital
Poster Vortrag Heribert Prantl
6. November 2024, 18:00 Uhr
Prof. Dr. Christoph Möllers (Berlin)
Über Wahrheit, Lüge - und List in der Demokratie
Ort: Freylinghausen-Saal, Franchesche Stiftungen und digital
Halle Lectures 2023: Wissen - Macht - Aufklärung
24. Mai 2023, 18:00 Uhr
Prof. Dr. Philipp Sarasin (Zürich)
Ist die Aufklärung am Ende? Nicht ganz
Die Aufklärung ist rund 250 Jahre alt geworden – und die Kritik an ihr, die anfänglich vor allem christlicher oder offen reaktionärer Natur war, fast ebenso. Im 20. Jahrhundert und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg weitete sich diese Kritik auch auf der linken Seite des politischen Spektrums beträchtlich aus, bis hin zur feministischen und postkolonialen Dekonstruktion der Aufklärung als Chiffre westlicher, weißer und männlicher Macht.
Doch nicht nur das: Kants Aufruf zum Selberdenken erscheint angesichts des verbreiteten „Querdenkens“ plötzlich in einem dubiosen Licht – und die Lichtmetapher des siècle des lumières selbst wirkt technisch seltsam überholt. Dennoch ist die Aufklärung nicht ganz am Ende, wie der Vortrag anhand zeitgenössischer Ansätze und Perspektiven zeigen wird. Sie wird wohl nie mehr „ganz“ – aber sie bleibt unverzichtbar.
Aula, Löwengebäude, Universitätsplatz und digital
Informationen zur Zuschaltung unter https://izp.uni-halle.de/ und unter www.francke-halle.de
Zur Aufzeichnung des am 24. Mai gehaltenen Vortrags von Prof. Dr. Sarasin unter Open Lecture der Universität:
OpenLecture mit Philipp Sarasin
26. Oktober 2023, 18 Uhr
Prof. Dr. Corine Pelluchon (Champs-sur-Marne/Paris)
Die Aufklärung heute neu denken. Ökologie, Universalismus und Demokratie
Postmoderne Kritiker interpretieren den Universalismus der Aufklärung als eine Form des Strebens des Westens nach Hegemonie. Aber diese Interpretation ist unzureichend: Das Erbe der Aufklärung, im Sinne der Rechtfertigung der Vernunft, der Emanzipation, der Menschenrechte und der Demokratie, bleibt relevant.
Allerdings zwingen uns die ökologische Krise und die Abhängigkeit von anderen Lebewesen, ihre anthropozentrischen Grundlagen und den Natur/Kultur-Dualismus in Frage zu stellen. Das ist die Bedeutung des Konzepts der neuen Aufklärung, die eine demokratische und ökologische Gesellschaft fördert und davon ausgeht, dass die Rationalität nicht mehr dazu dient, die Natur und andere Lebewesen zu beherrschen.
Freylinghausensaal, Franckesche Stiftungen und digital
Anmeldung bis zum 24. Oktober 2023 unter izea(at)izea.uni-halle.de oder Zuschaltung unter www.francke-halle.de
Halle Lectures 21/22: Aufklärung heute
2. Dezember 2021, 18 Uhr
Prof. Dr. Michael Hampe (Zürich)
Illusionslosigkeit als Ziel von Aufklärungsanstrengungen
Gewaltenteilung, Mündigkeit, Freiheit und Vernünftigkeit werden als positive Ziele der Aufklärung angesehen. Illusionslosigkeit ist dagegen ein negatives oder minimales Ziel. Es hat vielen Aufklärungsbewegungen eine Orientierung gegeben, u.a. der sokratischen und ist wohl auch für aufklärerische Säkularisierungsbewegungen in Asien relevant. Im Anschluss an Philosophen wie Paul Feyerabend und Raymond Geuss geht der Vortrag der Frage nach, wie es zu Illusionen kommt, welche Funktion sie haben und welchen Schaden sie anrichten könnten und ob positive Aufklärungsideale wie das einer universalen Vernünftigkeit eventuell selbst illusionär gewesen sind.
Die Veranstaltung findet digital statt. Anmeldung bis zum 30. November 2021 unter izea(at)izea.uni-halle.de
8. Juni 2022, 18 Uhr
Prof. Dr. Philippe Büttgen (Paris)
Kant und die Kirche. „Was ist Aufklärung?“ neu lesen
Seit Habermas und Foucault konzentriert sich die Debatte um die Aktualität der Aufklärung auf die Interpretation von Kants Schrift „Was ist Aufklärung?“ von 1784. Von „Was ist Aufklärung?“ liest man dennoch nur die ersten Zeilen: „Sapere aude“— „habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Demgegenüber entwickelt der Vortrag ein „legere aude“. Denn es ist Zeit, „Was ist Aufklärung?“ endlich wieder zu lesen und zu kontextualisieren, nämlich als eine Streitschrift, die wie kaum eine andere die Theologie ihrer Zeit subvertierte. Kant ist der Erfinder einer alternativen Pastoraltheologie; er hat sämtliche Leitbegriffe dieser typischen Ausrichtung der Aufklärungstheologie — Amt, Kirche, Bekenntnis — einer drastischen Transformation unterzogen. Die Diskussion um „Aufklärung heute“ wird erst wieder relevant, wenn man den religionskritischen Ansatz im Sinn behält, den Kant anhand seiner Auseinandersetzung mit der Macht der Pfarrer entwickelt hat.
Bibliothek des IZEA, Franckeplatz 1, Haus 54
und digital. Anmeldung bis zum 6. Juni 2022 unter
izea(at)izea.uni-halle.de
3. November 2022, 18 Uhr
Prof. Dr. Michael Bergunder (Heidelberg)
Was heißt Aufklärung heute in einer globalen Welt? Eine religionswissenschaftliche Perspektive
In den deutschsprachigen Debatten wird vielfach beschworen, dass sich demokratische Gesellschaften zu den Idealen der Aufklärung bekennen sollen. Aus dieser Perspektive tritt uns Aufklärung als universale Wahrheit entgegen, die von allen Menschen dieser Welt heute geteilt werden kann und soll. Zugleich werden die Inhalte der Aufklärung aber meist aus einem regionalen Ursprung abgeleitet: aus dem Europa des „langen“ 18. Jahrhunderts. Aus dieser Perspektive tritt uns Aufklärung als eine partikulare historische Erscheinung entgegen. Die damit behauptete Verbindung von Universalität und Partikularität wird insbesondere in den jüngsten religionswissenschaftlichen Diskussionen einer grundsätzlichen Kritik unterzogen, zum Beispiel im Falle der umstrittenen Verhältnisbestimmung von „Islam“ und „Aufklärung“.
Aula, Löwengebäude, Universitätsplatz
und digital. Anmeldung bis zum 1. November 2022 unter
annegret.jummrich(at)izp.uni-halle.de
Halle Lecture 20: Der Ausdruck der Dinge
28. Mai 2020, 18 Uhr
Prof. Dr. Jakob Vogel (Berlin, Paris)
Aufklärung postkolonial? Globale Wissensgeschichte und die Herausforderung des Exotismus
Seit einigen Jahren mehren sich die Aufrufe, die Geschichte der Aufklärung einer postkolonialen Kritik zu unterwerfen. Im Rahmen kolonialer Machtstrukturen sei nichteuropäisches Wissen ausgebeutet, exotisiert und angeeignet worden, während gleichzeitig „westliches“ Wissen als vermeintlich universelles Wissen verbreitet wurde. In diesem Sinne fragt der Vortrag nach der Rolle von Exotismus und Universalismus in der Geschichte der Aufklärung. Der Blick auf „koloniale Zwischenräume“ und „europäische Peripherien“ verdeutlicht, wie vielfältig die Wissensordnungen des 18. Jahrhunderts waren. Die Geschichte der „Salzspindeln“ sowie von anderen Instrumenten und Objekten des Wissens zeigt aber auch, wie wenig die Wissenschaft der Aufklärung ihren eigenen Ansprüchen gerecht wurde.
IZEA, Bibliothek
Franckeplatz 1, Haus 54
26. November 2020, 18 Uhr
Prof. Dr. Georg W. Bertram (Berlin)
Dinge im Konflikt. Für eine Hermeneutik der Improvisation
Die geistige Situation gegenwärtiger Gesellschaften ist, gängigen Theorien zufolge, durch umfassende Ästhetisierungen, durch Digitalisierung und durch Postkolonialität geprägt. Dies suggeriert, dass Individuen und Dinge von umfassenden diskursiven Zusammenhängen durchdrungen sind, von denen sie bestimmt werden. Heißt das, dass wir Dinge und ihren eigenständigen Ausdruck verloren haben? In dem Vortrag geht es mir darum, zu überlegen, wie sich gegen einen solchen drohenden Verlust andenken lässt. In diesem Sinn plädiere ich dafür, unsere Praxis als von Improvisation und Konflikt geprägt zu begreifen. In einer so verstandenen Praxis gewinnt der Ausdruck der Dinge ein Eigenrecht. Gefordert ist eine Hermeneutik, die nachvollzieht, wie wir uns in unseren Praktiken an den Dingen entwickeln.
Aula des Löwengebäudes
Universitätsplatz 10
Halle Lecture 19: Vom Nutzen und Nachteil der Polemik
Flyer Vom Nutzen und Nachteil der Polemik
2. Mai 2019, 18 Uhr
Was stimmt nicht mit der Demokratie? Ein neues Konzept des Gemeinwohls
Prof. Dr. Hartmut Rosa (Jena)
Muss Politik ein unversöhnlicher Kampf sein? Eine solche Auffassung zerstört die lebensweltlichen Voraussetzungen demokratischer Gestaltung. Nicht der Streit, sondern das gemeinsame, wenn auch konflikthafte Gestalten sollte den Konstitutionsgrund des Politischen darstellen. Weil substantielle Bestimmungen des Gemeinwohls jedoch notwendig partikular sind, entwickelt der Vortrag die These, dass sich Gemeinwohl konsistent nur als Resonanzverhält-nis denken lässt, das durch den demokratischen Prozess zu realisieren ist – mit Resonanzen in sozialer (Beziehungen zwischen den Menschen), materialer (Beziehungen zur geteilten Lebenswelt) und existenzialer Hinsicht (Beziehungen zu umgreifenden Totalitäten wie der Welt, der Natur, dem Leben).
Festsaal des Stadthauses
Marktplatz 2
26. November 2019, 18 Uhr
Beantwortung der Frage: Was sind die ›Lumières‹ (und nicht die ›Aufklärung‹)?
Prof. Dr. Bertrand Binoche (Paris)
Als sich Michel Foucault in den 1980er Jahren mit der Frage »Qu’est-ce que les Lumières?« auseinandersetzt, kommentiert er Kants Beantwortung einer eigentlich anderen Frage: »Was ist Aufklärung?«. Aus heutiger Sicht mag es verwegen erscheinen, sich erneut an eine Definition zu wagen. Dennoch: Es lohnt den weiteren Versuch, ausdrücklich nach den › Lumières‹ in der französischen Variante zu fragen – nicht etwa um nationaler Grenzziehungen willen, sondern weil ein solches Vorgehen größere begriffliche Klarheit verspricht. Denn erst, wenn man bestimmt hat, was die ›Lumières‹ sind, lässt sich danach fragen, ob man damit auch die ›Aufklärung‹ definiert hat oder ob im Gegenteil zwischen beiden Begriffen Differenzen zu Tage treten.
IZEA, Bibliothek
Franckeplatz 1, Haus 54
Halle Lecture 18: Globales Denken in der Diskussion
Flyer Globales Denken in der Diskussion
25. Juni 2018, 18 Uhr
The Difficulty of Being Modern: Thoughts on Global and Planetary Histories
Prof. Dr. Dipesh Chakrabarty (University of Chicago)
Was bedeutet es modern zu sein in einer Zeit, in der kollektive menschliche Ambitionen planetarische Auswirkungen haben? Der Vortrag thematisiert einige der damit verbundenen ethischen Herausforderungen, indem er posthumanistische und postkoloniale Perspektiven auf die Moderne zur Diskussion stellt.
Aula des Löwengebäudes
Universitätsplatz 10
28. November 2018, 18 Uhr
Aufgeklärte Wunderkammern und moderne Wissenswelten: Eine Geschichte globaler Dinge und was sie uns lehrt
Prof. Dr. Rebekka Habermas (Universität Göttingen)
Mit den zentralen global players der Aufklärung, zu denen auch die Missionare gehörten, kamen viele Dinge des Außereuropäischen nach Europa, die das europäische Wissen bereicherten, ja zur Formierung ganz neuer Wissensbereiche führten, die schließlich nicht wenig zur Überlegenheit Europas in den Wissenschaften beitrugen. Und es sind genau diese Dinge, seien es menschliche Schädel aus Ozeanien, Dinosaurierskelette aus dem damaligen DeutschOstafrika oder Bronzen aus Benin, die uns bis heute mit vielen Teilen der Welt verbinden und gleichzeitig mit der Frage konfrontieren, wie mit diesen Dingen hier und anderswo umgegangen wurde und umgegangen werden soll.
Freylinghausen-Saal
der Franckeschen Stiftungen,
Franckeplatz 1, Haus 1