Gesellschaftliche Wissensproduktion in der Aufklärung – Text- und netzwerkanalytische Diskursrekonstruktion. Die Halleschen Zeitungen und Zeitschriften 1688–1815
Projektleiter: Prof. Dr. Daniel Fulda
Projektbearbeiter: Dr. Anne Purschwitz
Projektbeteiligte: Prof. Dr. Matthias Müller-Hannemann, PD. Dr. Alexander Hinneburg (Institut für Informatik der MLU)
Laufzeit des Projekts: in Vorbereitung
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Das Projekt betrachtet die Funktionsmechanismen der Wissenskonstruktion auf einer möglichst breiten Quellenbasis. Ausgehend von den halleschen Zeitungen und Zeitschriften soll eine Diskursrekonstruktion erfolgen, die einen neuen Blick auf unterschiedlichste Diskurse und deren Entwicklungen eröffnen und Vergleiche im Hinblick auf die Generierung und Transformation von Wissen ermöglichen wird.
Projektbeschreibung
Geisteswissenschaftliche Studien, die sich mit Fragen der Gewinnung und Vermittlung von Wissen durch öffentliche Diskurse befassen, können historische Kontroversen methodisch meist nur selektiv erfassen, weil der digital verfügbare Quellenbestand für hermeneutische Methoden zu groß geworden ist und weiterhin anwächst. Bisherige Studien konzentrieren sich daher in der Regel auf ein ideengeschichtlich gebrochenes Bild der Wissensproduktion, -repräsentation, -rezeption und -evaluation. Ertragreicher wäre es, die Funktionsmechanismen der Wissenskonstruktion auf einer möglichst breiten und grundsätzlich vorhandenen Quellenbasis zu analysieren.
Kombination qualitativ-hermeneutischer und digitaler Methoden
Dieser Herausforderung stellt sich die geplante Untersuchung durch den innovativen Einsatz sowohl qualitativ-hermeneutischer als auch digitaler Methoden. Drei Kernziele verfolgt das Projekt: Wir werden neue Methoden entwickeln, die 1. die Komplexität historischer Quellen adäquat berücksichtigen, 2. diskursive Muster identifizieren und kategorisieren und 3. praktisch anwendbar sind und helfen, die Bildung, Verarbeitung und Relevanz unterschiedlichen Wissens in der Aufklärung zu interpretieren.
Vielfalt der Quellenbasis
Das Projektdesign sieht eine computergestützte systematische Auswertung aller 356 Zeitungen und Zeitschriften, die zwischen 1688 und 1815 in Halle erschienen sind, sowie von Informationen zu allen an ihnen beteiligten Akteuren vor. Verschränkt werden sollen diese Daten mit bereits vorliegendem Material zur demographischen Struktur sowie zu den ökonomischen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen. Durch eine beispielhafte mikrohistorische Tiefenanalyse werden unterschiedliche Akteursgruppen erstmals umfassend über die diskursiven, medialen und personalen Formen von Wissen beschrieben.
Die vormoderne Wissensgesellschaft
Der Untersuchung geht die Annahme einer 'vormodernen Wissensgesellschaft' voraus, für deren Analyse sich die periodische Presse der Aufklärungszeit als Quellengrundlage in besonderem Maß eignet. Zeitungen und Zeitschriften schlossen eine mediale und institutionelle Lücke und bildeten ein variables und offenes Medium für unterschiedliche öffentliche Diskurse ohne thematische Eingrenzungen.
Diskursrekonstruktion – Text- und Netzwerkanalyse - Diskursvergleich
Das Projekt liefert drei wesentliche Beiträge: 1. gehen wir qualitativ über die Standard-Diskursanalyse hinaus, indem wir die Fülle digital verfügbarer Texte und Netzwerkinformationen für die Rekonstruktion von Aufklärungsdiskursen nutzen; 2. ermöglichen es die kombinierten quantitativen Methoden zur Text- und Netzwerkanalyse, die Relevanz unterschiedlicher Akteure direkt in den Diskursen zu verfolgen; 3. wird ein Referenzsystem für die Beurteilung und den Vergleich von unterschiedlichen Diskursen etabliert, das der aufklärungsbezogenen Wissensforschung als ein „general point of reference“ (Kempf) dienen kann. Um dies zu erreichen, nutzen die einzelnen Aufgabenstellungen – Diskurs-Rekonstruktion, Diskurs-Differenzierung, Diskurs-Vergleich und -Interpretation – spezielle qualitative und quantitative Maßzahlen. Dafür entwickeln, implementieren und evaluieren wir innovative neue Verfahren zur Netzwerkanalyse sowie Themenmodelle (topic models). Wir schaffen eine interaktive web-basierte Analysesoftware und stellen diese als open source zur Verfügung. Erarbeitet wird eine lokal ausgerichtete Modellstudie, deren digitale Ansätze zu Erweiterungen und Ergänzungen auffordern. Alle kompilierten Metadaten werden im Rahmen des Historischen Datenzentrums Sachsen-Anhalt gespeichert und für eine zukünftige Verwendung aufbereitet. Die entwickelte Software soll einen völlig neuen Blick auf unterschiedlichste Diskurse und deren Entwicklungen eröffnen und Vergleiche im Hinblick auf die Generierung und Transformation von Wissen ermöglichen.
Aktuelles
Die Publikation der vollständigen Bibliographie aller 356 halleschen Zeitungen und Zeitschriften befindet sich in Vorbereitung.
Die in unseren ersten Versuchen generierten Themen geben Hinweise darauf, worüber, wann und in welchem Umfang in den halleschen Zeitungen und Zeitschriften gesprochen wurde. Als durchaus belastbar hat sich die Einbeziehung von Metadaten in die Datengrundlage des TopicExplorers erwiesen. SQL-Abfragen ermöglichen eine Filterung der mit den Topics in Beziehung stehenden Dokumente und die Überführung in eine Netzwerkanalyse, die zudem auf gewichtete Beziehungen anhand der Topic-Modellierung aufbauen kann. Aktuelle Versuche betrachten die Zusammenwirkung von Autoren, Journalen und Themen und hinterfragen die Netzwerkstrukturen zwischen diesen drei Ebenen. Bereits hier zeigte sich in beeindruckender Tiefe, dass die Journale der Aufklärung zwingend als öffentliches Netzwerk verstanden werden müssen, in dem sich inhaltliche und strukturelle (persönliche) Verbindungen überlagerten und ergänzten. Perspektivisch sollen in diese Analyse alle beteiligten Akteure (Drucker, Kolporteure, Verleger oder Übersetzer) mit einbezogen werden, um die Relevanz dieser Beziehungen noch deutlicher werden zu lassen.
Links
Historisches Datenzentrum Sachsen-Anhalt
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