Lumières vs. Illuminismo: französische und italienische Aufklärung im Konflikt
Projektleiter: Prof. Dr. Robert Fajen
Projektbeschreibung
Das Verhältnis zwischen französischer und italienischer Aufklärung lässt sich - zumindest auf den ersten Blick - als geradezu schablonenartig anmutender Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie beschreiben. Die Verteilung der Gewichte scheint klar: Paris wird in den Jahrzehnten zwischen 1740 und 1790 überall in Europa als die imaginäre Hauptbühne eines epochalen Diskurses angesehen, der das Wissen von der Welt neu ordnet und vermisst. Beispielhaft zeigt dies zum einen das Jahrhundertprojekt der Encyclopédie, deren Prestige u. a. darin gründet, dass sie eine Pariser Unternehmung ist, und zum anderen die singuläre Gestalt Voltaires, der lange als wichtigster, d. h. Pariser Akteur auf dem transnationalen literarischen Feld gilt, unabhängig davon, ob er gerade in Potsdam, Genf oder Ferney weilt.
In Italien - genauer: in der Wahrnehmung der italienischen Literaten - ist die Dominanz der französischen Aufklärungskultur als Faktum unbestritten und zugleich Gegenstand heftiger, von Ressentiments, Trotz oder blinder Bewunderung geprägter Diskussionen. Kulturelle und soziale Transformationen werden als Resultate eines 'gefährlichen' transalpinen Einflusses gewertet; doch stellen die gedanklichen und ästhetischen Experimente der philosophes auch ein Faszinosum dar, dem man sich nicht entziehen kann. Zusätzlich verkompliziert wird diese Ambivalenz durch die italienische Polyzentrik: Die Rezeption der französischen Aufklärer ist in den verschiedenen Städten und Staaten Italiens uneinheitlich; man kann vereinfachend sagen, dass Montesquieu, Voltaire, Diderot oder Rousseau in Mailand, dem Zentrum der italienischen Aufklärung im engeren Sinne, anders gelesen werden als beispielsweise in Neapel, Florenz, Turin oder Venedig. Demgegenüber erscheint die Kultur der italienischen Halbinsel in der französischen, d. h. Pariser Zentralperspektive als fern, dekadent und randständig. Spätestens mit der Querelle des Anciens et des Modernes und der Konstruktion einer eigenen, 'jungen' Klassik ist für die französischen Literaten die alte Rivalität zu Italien zugunsten der eigenen Kultur entschieden.
Autoren wie Voltaire oder Diderot stellen die Literatur Italiens grundsätzlich als ein Phänomen vergangener Größe dar, während sie die Gegenwartsproduktion des Nachbarlandes zur sterilen und rückwärtsgewandten quantité négligable stilisieren, selbst wenn sie sich, wie im Falle von Voltaires Maffei-Adaptation Mérope oder Diderots Goldoni-Adaptation Le fils naturel, für eigene Zwecke durchaus produktiv nutzen lässt. Umso irritierter reagieren die philosophes auf Neuerungen aus der vorgeblichen Peripherie, die sich wegen ihrer Tragweite offensichtlich nicht ignorieren lassen: Die ambivalente Rezeption von Cesare Beccarias Traktat Dei delitti e delle pene zeigt dies sehr deutlich. Nach anfänglicher Begeisterung für seine Ideen in Paris schwindet das Interesse an dem jungen Mailänder rasch, vielleicht, weil die Konsequenz seines politisch-juristischen Denkens die der philosophes übertrifft. Eine weitere Schlüsselfigur, die den ambivalenten Status der italienischen - genauer: hier neapolitanischen - Kultur in Paris illustriert, ist der Abbé Galiani. Auch hier ist zu fragen, inwiefern Galiani in seinem langjährigen Kontakt zum Kreis um Diderot, Grimm und d'Holbach die oben angedeuteten Konflikte zwischen der sich nach außen hin singulär-zentral gebenden Aufklärung in Frankreich und den pluralen, 'reagierenden' Aufklärungen in Italien in sein Schreiben mit aufnimmt. Besonderes Augenmerk soll dabei auf den Briefwechsel Galianis mit Louise d'Épinay gerichtet werden, der die Kommunikation zwischen der neapolitanischen 'Peripherie' und dem Pariser 'Zentrum' besonders lebhaft dokumentiert. Das Projekt befindet sich noch in der Anfangsphase und ist langfristig angelegt.