Exzerpte. Zur digitalen Erschließung und Edition einer besonderen Text-Bild-Konstellation am Beispiel Johann Joachim Winckelmanns
Prof. Dr. Elisabeth Décultot,
Prof. Dr. Paul Molitor (MLU Halle-Wittenberg, Institut für Informatik),
Prof. Dr. Andrea Rapp (Technische Universität Darmstadt, Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft)
Projektbearbeiter: Dr. Martin Dönike
Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Laufzeit: 3 Jahre (Start: 2021)
Ausführende Stelle in Halle: IZEA
Homepage: https://exzerpte.uzi.uni-halle.de
Im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbundprojekts der Universität Halle-Wittenberg und der TU Darmstadt wird erstmals die hybride Formation des Exzerpts in den Mittelpunkt eines Digital-Humanities-Vorhabens gestellt. Am Beispiel von Johann Joachim Winckelmanns Gedancken über die Nachahmung (1755, 2., um drei Texte erw. Aufl. 1756) und den ihnen zugrundeliegenden umfangreichen Exzerpten widmet sich das Projekt einer Lese- und Schreibtechnik, deren Bedeutung für die neuzeitliche Wissensproduktion und Theoriebildung, aber auch für zentrale Fragen der Autorschaft bislang nicht angemessen gewürdigt worden ist. Langfristiges Ziel des literaturwissenschaftliche und informatische Fragestellungen miteinander verbindenden Projekts ist die Schaffung eines nachhaltigen Portals, das sowohl ein Repositorium von Exzerptbeständen bildet als auch Möglichkeiten der digitalen Edition und damit der hermeneutischen Auswertung solcher Dokumente bietet. Das Verbundprojekt umfasst eine geisteswissenschaftliche und eine informatische Komponente (Universität Halle), deren enge Verschränkung durch eine integrative dritte Komponente (TU Darmstadt) gewährleistet wird, die die Möglichkeiten und Grenzen einer Digitalen Philologie theoretisch und praxeologisch reflektiert (Webseite: https://exzerpte.uzi.uni-halle.de/).
Vorrangige Aufgaben im philologisch-editorischen Bereich des Anfang April 2021 gestarteten Projekts waren a) die digitale Textkonstitution des Korpus der insgesamt vier veröffentlichten Dresdener Schriften Winckelmanns (Gedancken über die Nachahmung, Sendschreiben, Nachricht von einer Mumie und Erläuterung) im Abgleich mit den Originaldrucken, b) die Konstitution eines vorläufigen Korpus der für den Komplex der Dresdener Schriften relevanten Exzerpthefte und der von Winckelmann in diesen ausgewerteten Quellenschriften sowie c) der Beginn der Transkription ausgewählter handschriftlichen Exzerpte Winckelmanns. In Abstimmung mit der Informatik-AG (Molitor) und der AG Digitale Philologie (Rapp) wurde zu diesem Zweck diverse digitale tools evaluiert; zur Unterstützung der Transkriptionsarbeit wurde die Plattform Transkribus gewählt und die automatisierte Handschriftenerkennung in mehreren, immer wieder rückgekoppelten Trainingsläufen an die Handschrift Winckelmanns angepasst. Im Zuge der Überprüfung der maschinell erstellten Transkriptionen ausgewählter Exzerpthefte wurden die jeweiligen Quellen konsultiert, bibliographisch verzeichnet und annotiert. Zwei interne Workshops befassten sich mit „Themen, Tools und Daten“ (27.05.2021) sowie der Struktur der geplanten digitalen Edition (17.12.2021).
Eine eigene Webseite (https://exzerpte.uzi.uni-halle.de/) wurde eingerichtet, um die Öffentlichkeit über Gegenstand, Fragestellung, Ziele und Methoden, aber auch Veranstaltungen des Projekts zu informieren. Hierzu zählt die im Wintersemester 2021/22 in Form von Videokonferenzen durchgeführte Vortragsreihe mit dem Titel „Vom Handschriftlichen zum Digitalen. Neue Perspektiven der Edition von Exzerpten und Nachlässen“, in deren Rahmen die eingeladenen Gäste ihre Erfahrungen und Überlegungen zu hermeneutischen, editorischen und technischen Fragen im Bereich der digitalen Nachlass-Editionen präsentiert und mit den Projektmitarbeiter*innen und angemeldeten Gästen diskutiert haben.
Aufbauend auf dem im Vorjahr zusammengestellten vorläufigen Korpus von Quellenschriften und Exzerptheften konnte 2022 mit der Transkription und philologischen Annotation der für Winckelmanns Erstlingsschrift relevanten Pariser Exzerptbände begonnen werden. Die mit Hilfe von Transkribus erstellten (Vor-)Transkriptionen werden dabei in einem ersten Schritt durch die wissenschaftlichen Hilfskräfte geprüft und ggf. korrigiert sowie in einem zweiten Schritt durch den wissenschaftlichen Mitarbeiter nochmals überprüft und hinsichtlich Ursprungskontext (Quelle) bzw. Zielkontext (veröffentlichte Schrift) identifiziert und annotiert. Vollständig transkribiert und annotiert werden konnten im zurückliegenden Jahr die Bände 61 (ca. 130 Seiten), 62 (ca. 170 Seiten) und 70 (ca. 280 Seiten); bereits überprüft und korrigiert liegt der Band 71 (ca. 200 Seiten) vor; in Arbeit befinden sich die Bände 64 (ca. 160 Seiten), 66 (ca. 140 Seiten), 72 (ca. 250 Seiten) und der in Montpellier verwahrte Exzerptband H356 (ca. 450 Seiten). Erste Transkriptionen aus dem Altgriechischen liegen ebenfalls vor (Bd. 57, 198r-233v = „Collectanea ad Historiam Artis“, ca. 70 Seiten), doch müssen hier wie auch im Falle der deutschen Kurrentschrift längere Bearbeitungszeiten eingeplant werden als im Falle der Exzerpte in lateinischer Schrift, für die Transkribus weitaus bessere Ergebnisse liefert.
Parallel zu den Transkriptionsarbeiten wurde das Korpus der insgesamt vier veröffentlichten Schriften Winckelmanns in XML transformiert und vom wissenschaftlichen Mitarbeiter mittels TEI ausgezeichnet (u. a. Namen, Orte, Literatur, Objekte / Kunstwerke, Begriffe). Die von Winckelmann in seinen veröffentlichten Schriften erwähnten literarischen Quellen wurden ebenso wie die in den transkribierten Exzerptheften identifizierten Bücher und Zeitschriften in eine Zotero-Bibliographie eingespeist und jeweils mit Links zu den entsprechenden öffentlich zugänglichen Digitalisaten versehen.
Alle drei Arbeitspakete – (1) Transkription und Annotation der Exzerpte, (2) Auszeichnung der veröffentlichten Schriften Winckelmanns und (3) Verlinkung auf Digitalisate der von ihm in diesem Zusammenhang genutzten historischen Quellen – dienen der Vorbereitung des Exzerpt-Portals, das die drei Korpora der Quellen, Exzerpte und veröffentlichten Schriften miteinander vernetzen soll.
In Vorbereitung auf diese Aufgabe hat das Gesamtprojekt im Juli 2022 unter dem Titel „Alles verwoben?“ einen Workshop an der TU Darmstadt veranstaltet, der den Blick vor allem auf methodische und informationswissenschaftliche Gesichtspunkte der digitalen Aufbereitung, Erschließung und Bereitstellung semantisch verknüpfter Materialkorpora und heterogener Textsammlungen richten sollte. Ziel der als digitale Werkstattschau konzipierten Veranstaltung war es, einen praxisorientierten Austausch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Problemstellungen und Erschließungskonzepte zu ermöglichen. Ergebnisse konnten schon kurz darauf bei der vom Projektträger veranstalteten Vernetzungsveranstaltung „Digital Humanities“
(26. Oktober) präsentiert werden.
Veranstaltungen 2022
19.–20. Juli 2022
Technische Universität Darmstadt
Sommer-Workshop 2022: Alles verwoben? Digitale Verknüpfung, Edition und Visualisierung heterogener Text-/Bild-Korpora
Die Übersicht über die Vortragsreihe im WS 2021/22 „Vom Handschriftlichen zum Digitalen. Neue Perspektiven der Edition von Exzerpten und Nachlässen“ ist unter Kap. 11.7. zu finden.