Die Bilder der Aufklärung
Projektleiter: Prof. Dr. Daniel Fulda
Wohl keine Epoche vertraute der Macht des Wortes so sehr wie die Aufklärung; das gilt mit Blick auf die Fähigkeit der Sprache, die Welt und deren Erkenntnis zu repräsentieren, ebenso wie hinsichtlich der Überzeugungskraft, die dem in Druckwerken oder öffentlichen Debatten vorgebrachten Argument zugemessen wurde. Bildliche Medien sowie die bildende Kunst gelten demgegenüber als nachrangig, obwohl sich die Aufklärer zur Propagierung ihrer Ideen gerne auch solcher Medien bedienten und die ästhetische Theoriebildung in der Wort-Kunst, der Poesie, sogar wesentlich anhand von Mustern der Malerei und der Plastik von statten ging.
Dem Primat des Sprachlichen vor dem Ikonischen im etablierten Aufklärungsverständnis entspricht, dass die Vorstellungen, welche die Aufklärer von ihrem Programm und ihrer Epoche entwickelten, wiederholt begriffs- und metapherngeschichtlich untersucht worden sind, fast nie hingegen hinsichtlich ihrer bildlichen Darstellungsweisen. Wie 'Aufklärung' zum Programmbegriff einer Wissens- und etwas später auch Lebensreform wurde, ist zumindest in den Umrissen bekannt, ebenso die Aneignung der herkömmlich christologischen Lichtmetaphorik für das Programm der lumières im Sinne autonom menschlicher Wissensgewinnung. Dagegen gibt es bisher lediglich Ansätze zur Ikonologie der Aufklärung, obwohl die bildende Kunst des 18. Jahrhunderts seit einigen Jahren verstärkt auf ihren Beitrag zur Aufklärung befragt wird. Die in den Kulturwissenschaften seit einiger Zeit intensiv geführte Diskussion über das Verhältnis von bzw. die Interferenzen zwischen Bild und Text hat um das Wort- und Bildfeld der Aufklärung (und ihrer semantischen Verwandten) bislang einen Bogen gemacht, obwohl der metaphorische Ursprung dieses Programm- und später Epochenbegriffs gute Ansatzpunkte bietet.
Auf das damit umrissene Forschungsdesiderat reagiert das Projekt. Seine Leitfrage ist die nach der Korrelation zwischen aufklärerischer Programmatik und bildlichem Ausdruck. Sie lässt sich in drei Fragenkomplexe gliedern:
1. Welche Bilder?
Es gilt zunächst einmal danach zu fragen, ob sich ein Ensemble von Bildern erkennen lässt, die als aufklärerisch bezeichnet werden können bzw. einen spezifischen Bezug zur Aufklärung haben - und wenn ja, warum und inwiefern. Oder, die Konstruiertheit des Aufklärungsbegriffs noch deutlicher voraussetzend: Welche bildlichen Darstellungsweisen wurden als 'aufklärerisch' wahrgenommen bzw. als solche etabliert, und was hieß dann bzw. was heißt hier 'aufklärerisch'? Was auch umgekehrt heißen kann: Welche Vorstellungen von Aufklärung erwecken die Bilder des 18. Jahrhunderts, die mit aufklärerischen Prinzipien verbunden werden?
2. Wie? (Welche bildlichen Darstellungsmodi?)
In welchem Verhältnis stehen bildliche Darstellungen zu den aufklärerischen Gedanken, Figuren, Motiven usw., die sie begleiten sollen. Wo dienen Bilder nur der 'Veranschaulichung' von prä-existierendem 'aufklärerischem' oder als 'aufklärerisch' geltendem Gedankengut? Wo generieren sie selbst Assoziationen, die - unabhängig von einem wie auch immer gestalteten Prä-Text - als 'aufklärerisch' gelten können? Die zunächst semiotisch angelegte Modalitätsfrage kann zudem in eine sozialhistorische umformuliert werden: Aufklärung ist dann als eine Bewegung zu betrachten, die sich bestimmter, u.a. bildlicher Techniken der Vervielfältigung und Verbreitung von intellektuellen Gütern bediente, mit dem Ziel sie in breiteren Kreisen der Gesellschaft zu streuen und zu verankern. Welche Rolle spielen Bilder - ergänzend oder im Unterschied zu Texten - in diesem Zusammenhang? Inwiefern haben besondere Techniken der bildlichen Vervielfältigung (über Stiche, Abgüsse usw.) zur Verbreitung aufklärerisch geprägten Bildmaterials beigetragen? Eine solche Fragestellung soll dazu führen, das 'Aufklärerische' von Bildern nicht allein in den Bildinhalten, sondern in den Modalitäten und Wegen der Bildreproduktion und -verbreitung zu suchen.
3. Letztlich stellt sich das Projekt die Frage, inwiefern die Erweiterung um die bildliche Dimension unseren vorwiegend ideen- und textbezogenen Aufklärungsbegriff verändert.
Es geht nicht darum, eine Kunstgeschichte der Aufklärung zu erstellen; das wäre ein weit allgemeineres Thema, das zugleich eine Verengung bedeutete, da für unsere Fragestellung nicht allein künstlerische Bildwerke von Interesse sind, sondern auch technische Zeichnungen und Gebrauchsgegenstände, Tabellen und Diagramme oder eher handwerklich gestaltete Buchillustrationen. Die Fragestellung ist eine schärfere und zielt auf den (sei es intendierten, sei es effektiven) Beitrag von Bildmedien zur Modellierung und Propagierung von Aufklärung.
Die in diesem Schwerpunkt entwickelten Arbeiten widmeten sich nicht nur dem Klassizismus, sondern auch der Aufklärung. Im September 2020 fand die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts zum Thema „Die Bilder der Aufklärung/Pictures of Enlightenment/Les Images des Lumières“ am IZEA statt, die von Prof. Dr. Elisabeth Décultot und Prof. Dr. Daniel Fulda veranstaltet wurde. Aufklärung wird meist vom Wort und von der Schrift her verstanden und daher in ihrem Niederschlag in philosophischen, literarischen, wissenschaftlichen und journalistischen Texten untersucht. Angeregt durch kunst- und kulturhistorische Untersuchungen der Bedeutung der Bilder für die Epoche, gingen die Referent*innen dieser internationalen und interdisziplinären Tagung der Frage nach, welchen Beitrag Bilder, von künstlerischen Bildwerken bis zu technischen Zeichnungen, durch ihre Konzeption und ihre handwerkliche und künstlerische Gestaltung sowie durch ihre Verbreitungswege zur Darstellung und Gewichtung von Aufklärung leisteten.
Der zugehörige Tagungsband ist in Arbeit und wird 2023 erscheinen.
DGEJ-Tagung „Die Bilder der Aufklärung“, 16.–18. September 2020, Halle
Leitung: Prof. Dr. Daniel Fulda und Prof. Dr. Elisabeth Décultot
Im Rahmen dieses Forschungsfeldes fand im September 2020 die von Daniel Fulda und Elisabeth Décultot geleitete Tagung „Bilder der Aufklärung“ am IZEA als Jahrestagung der DGEJ statt. Rechtzeitig zur Tagung erschien der reich illustrierte Band Aufklärung fürs Auge. Ein anderer Blick auf das 18. Jahrhundert. im September 2020.
Nachdem frühere DGEJ-Tagungen in Halle den Blick auf die „Sachen der Aufklärung” (2010) und die „Erzählende und erzählte Aufklärung” (2015) gerichtet hatten, rückte die Tagung ein weiteres Leitmedium der Epoche ins Zentrum. Nur wenige der in zweieinhalb Tagen meist in zwei Parallelsektionen diskutierten Fragen können hier wiedergegeben werden. Generell lassen sich zwei Hauptmethoden in der kritischen Auseinandersetzung mit der Frage erkennen, welches Verhältnis die Bilder und die Aufklärung miteinander unterhalten. Eine Reihe von Vortragenden versuchten, die spezifische Beziehung der Aufklärung zu den Bildern an bestimmten Motiven und Darstellungsweisen festzumachen, die Aufklärungsansprüche signalisierten und entsprechend wahrgenommen wurden: etwa Lichtmotive, Bilder des Aufhellens und Hellwerdens, des Beleuchtens und der Vertreibung der Dunkelheit, der Sprachbildlichkeit des Aufklärungsdiskurses entsprechend, oder ‚aufdeckende‘ Darstellungsweisen, die etwas sichtbar machen, was normalerweise verborgen ist. Diskutiert wurde u. a., in welcher Weise solche Bilder zur Ausbildung eines aufklärerischen Selbstverständnisses beigetragen haben und dabei womöglich sogar dem Gebrauch des Wortes aufklären/Aufklärung und seiner Äquivalente in anderen Sprachen vorausgingen.
Im Unterschied zu dieser ikonographisch geprägten Herangehensweise versuchten andere Vortragende, die Spezifität des Bezugs der Aufklärung zu den ‚Bildern‘ in einer gesteigerten kritischen Reflexion über das Sehen überhaupt zu suchen. Analog zur sprachgetragenen Selbstreflexion, die für die Aufklärung so wichtig war, geht es hier darum, wie Bilder im 18. Jahrhundert darüber ‚nachzudenken‘ und ihre Betrachter darüber aufzuklären vermögen, was sie auszeichnet und was sie leisten. Diese unterschiedlichen Ansätze treffen sich wiederum in der Frage, wie die Aufklärung überhaupt Bilder ‚wirksam‘ machte. Gezeigt wurde beispielsweise, wie sie dazu ‚dienten‘, Kritik an den geistlichen, philosophischen oder politischen Autoritäten plakativ oder weniger direkt und damit weniger angreifbar zu artikulieren. Im Hintergrund dieser Auseinandersetzungen stand immer die Frage nach dem Bezug zum Text. Wurden bildliche Darstellungsverfahren genutzt, um Einblicke zu geben oder Übersichten zu vermitteln, die sprachlich nicht in derselben Klarheit und Eindrücklichkeit repräsentierbar gewesen wären?
Eine große Rolle spielten methodologische Fragen, die den interpretatorischen Umgang speziell mit Bildern betreffen: Wie viel formulierbare Bedeutung oder sogar eine Aussage im Diskurs der Aufklärung darf ihnen zugeschrieben werden und auf welcher bildtheoretischen Grundlage? Oder ist eher ihre Opazität zu betonen? Geltend gemacht wurde einerseits, dass sich das bildliche Zusammenspiel von Formen und Farben weder von vorgängigen Ideen herleiten noch auf Begriffe bringen lässt. Bilder dürfen daher nicht zu Illustrationen, sei es der Aufklärung, sei es anderer Gehalte, verkleinert werden. Auf der anderen Seite zeigte sich in vielen Beiträgen und Diskussionen, dass nicht nur Texte, sondern auch Bilder dekodierbar sind (zumindest partiell), indem man allegorische Bedeutungen aufdeckt oder Bildschemata, -formeln und -traditionen identifiziert. Standen sich demnach eher den ästhetischen Eindruck beschreibende und eher diesen Eindruck in Bedeutungen übersetzende Ansätze gegenüber, so wurden gleichwohl durchweg die Ambiguitäten bildlicher Semiose betont.
Folgen hat dies nicht allein für die Interpretation einzelner Artefakte, sondern auch für mögliche Antworten auf die Ausgangsfrage der Tagung, ob sich unser Bild von der Aufklä¬rung verändert, wenn wir die Bilder der Aufklärung analysieren: Sich mit den Bildern der Aufklärung zu beschäftigen führt zu einer komplexeren Ansicht dieser Bewegung und Epoche und verstärkt noch die Pluralisierung der Deutungen, die in den textinterpretierenden Wissenschaften seit geraumer Zeit zu beobachten ist. Sich mit den Bildern der Aufklärung zu beschäftigen hat nicht nur, aber auch zur Konsequenz, dass das Vorhaben, sich überhaupt ein Bild – und gar einen Begriff – von der Aufklärung zu machen, als problematisch erscheint
Angelegt ist die Gemengelage von identifizierbaren propositionalen Bedeutungen und ästhetischen Anmutungen, die sich solcher Festlegung entziehen, bereits in der ästhetikgeschichtlichen Situation des 18. Jahrhunderts: Es gibt noch ein akademisches System der Kunstgattungen, aber dieses wird nicht selten missachtet oder überschritten. Und die Allegorie verliert dramatisch an Ansehen, doch ihre bedeutungstransportierenden Verfahren sind noch fleißig in Gebrauch. Das Spannungsfeld zwischen Dekodierbarkeit und Opazität, in dem sich, wie die Tagung zeigte, heutige Interpretationen der Bilder der Aufklärung bewegen, hat auch seine historischen, epochenspezifischen Gründe. Fragen lässt sich indes, in welchem Maße Bilder in dieser Hinsicht von Texten abzuheben sind. Denn die gerade genannten Tendenzen finden wir ebenso oder ähnlich im literarischen Feld, man denke nur an den Umschwung von einem Literaturkonzept, das auf die eingängige Vermittlung einer vorgängigen Lehre zielt, zu einer Auffassung von Literatur als Problematisierung aller Kategorien der Weltwahrnehmung und Sinnproduktion. Was wiederum unseren Umgang mit Texten angeht, haben wir von der Dekonstruktion gelernt – wenn wir dies nicht schon als Hermeneutiker wussten –, dass textuelle Bedeutungserzeugung ein unsicherer und unabschließbarer Prozess ist. Die „performative“ Qualität, die Britta Hochkirchen den von ihr analysierten Bildern Chardins zumaß, können auch Texte der Aufklärung haben.
Zumindest einen prinzipiellen Unterschied zwischen der Analyse von Bildern und der von Texten gibt es trotzdem: Anders als Textanalysen vollziehen sich Bildanalysen in einer Mediendifferenz zwischen dem Gegenstand und dem Diskurs darüber. Wenn die auf unserer Tagung gewonnenen Eindrücke nicht täuschen, sensibilisiert dies für die Schwierigkeiten der Bedeutungszuschreibung. Für die Aufklärungsforschung dürfte es kein Schaden sein, wenn sie sich der Distanz zu ihren Gegenständen verstärkt bewusst wird.
Publikationen
- Daniel Fulda: Latenzen der Geschichte (modern verstanden) und die Brüche ihrer Darstellung. Einige Beobachtungen anhand von Chodowieckis Menschheitsgeschichte in zwölf Kalenderbildern. In: Bildbruch - Beobachtungen an Metaphern 3 (2022), "Katachresen der Latenz", S. 108-124. open access
- Daniel Fulda: Identity in Diversity: Programmatic Pictures of the Enlightenment. In: Journal for Eighteenth-Century Studies 45, 1 (2022), S. 43–62. open access
- Daniel Fulda: 'Aufklärung' in den 1710/20er Jahren: theologischer Kampfbegriff vs. philosophisches Programmbild. In: Johannes Birgfeld, Stephanie Catani u. Anne Conrad unter Mitarbeit von Sophia Mehrbrey (Hg.): Aufklärungen. Strategien und Kontroversen vom 17. bis 21. Jahrhundert. Heidelberg: Winter 2022, S. 19–42.
- Daniel Fulda: Neue periodische Schriftmedien, das Medium Bild und die Programmatik der Aufklärung. In: Liina Lukas [u.a.] (Hg.): Medien der Aufklärung – Aufklärung der Medien. Die baltische Aufklärung im europäischen Kontext. Berlin, Boston 2021, S. 19–45.
- Daniel Fulda (Hg.): Aufklärung fürs Auge. Ein anderer Blick auf das 18. Jahrhundert. Halle 2020.
Darin enthalten sind zwei Beiträge des Herausgebers:
- Einleitung. Vom Nutzen der Bilder für unser Bild von der Aufklärung, S. 7–29.
- Auf einen Blick. Bildliche Ordnungen des Wissens und besonders des Verhältnisses von Glauben und Vernunft, S. 53–95.
- Daniel Fulda: Text und Bild im Wettstreit. Lessings Ästhetik und das Programm der Aufklärung. In: Der Deutschunterricht 72 (2020), H. 5, S. 17–26.
Vortrag
- Vortrag: Latenzen der Geschichte (modern verstanden) und die Katachresen ihrer Darstellung. Einige Beobachtungen anhand von Chodowieckis Menschheitsgeschichte in zwölf Kalenderbildern. Auf der Tagung „Katachresen der Latenz. Rhetorik – Ästhetik – Geschichte“. 2. September 2021, Universität Basel, eikones – Center for the Theory and History of the Image